Uetlibergbahn

Die Uetlibergbahn Jahrzehnte zurückgeblättert

Hans Tempelmann:

Im Jahr 1886 wurde bei Orell Füssli in Zürich der Fahrplan der Uetlibergbahn in Form eines grossformatigen Plakats gedruckt und dem «tit. Publikum» kundgetan.

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Als «unerhörtes Projekt» bezeichnet wurde 1872 die Frage des Baus einer Adhäsions-Eisenbahn auf den Uetliberg und nach langen politischen Auseinandersetzungen bejaht und ein Initiativkomitee bestellt. Kurz nach der Gründung der Uetlibergbahn-Gesellschaft am 30. November 1872 erteilte die Bundesversammlung am 21. Dezember 1872 die Konzession. Damals hätte wohl niemand gedacht, dass auf den Tag genau 111 Jahre später die Eidgenössischen Räte die Ausdehnung der bis 1. Januar 2021 gültigen Konzession auf die Strecke Selnau bis Zürich-Hauptbahnhof genehmigen und damit die verkehrspolitisch bedeutungsvolle Voraussetzung für den Anschluss der Bahn an das internationale, nationale und regionale Schienenverkehrsnetz im grössten Bahnhof der Schweiz schaffen würden. Die Stadt Zürich hatte bereits bei den Diskussionen über die Linienführung der Bahn auf ihrem Areal Selnau, das damals als Holzlager diente (die Strassennamen Sihlamtstrasse, Holzgasse, Flössergasse weisen darauf hin), einen provisorischen Ausgangsbahnhof angeboten, nachdem das anfänglich in Aussicht genommene Projekt eines Anschlusses im Bahnhof Enge der damaligen Nordostbahn aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden konnte.

Gestützt auf ein Gutachten wurde beschlossen, die Bahn mit einer maximalen Steigung von 7% als reine Adhäsionsbahn mit Normalspur zu bauen. Dieser Entscheid hat sich bis heute betrieblich vorteilhaft ausgewirkt. Am 10. Mai 1875 konnte die Uetlibergbahn feierlich eröffnet und am 12. Mai der  fahrplamnässige Betrieb auf den Zürcher Hausberg mit täglich vier Berg- und Talfahrten mit drei Dampflokomotiven aufgenommen werden. Es war von Anfang an möglich, direkte Retourbillette ab London und Paris nach dem Uetliberg – einschliesslich Hotelarrangement – zu buchen und vorauszuzahlen.

Die Bergfahrt kostete 1875 zwei Franken, heute – nach 109 Jahren – trotz massiver Geldentwertung nur vier Franken. Das nach der Eröffnung der Sihltalbahn 1892 ab Selnau ausgegebene Rundfahrtbillett Zürich-Uetliberg und zurück ab Sihlwald nach Zürich wurde für drei Franken und dreissig Rappen verkauft, die unbeschränkt auf der Sihltal- und Uetliberglinie gültige Tageskarte kostet 1984 acht Franken.

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Anzeige der Betriebseröffnung der Uetlibergbahn, erschienen im «Tagblatt der Stadt Zürich» vom 8, Mai 1875.

Die Angliederung lukrativer Nebenbetriebe stand schon frühzeitig bei den verantwortlichen Bahnorganen zur Diskussion. 1897 wurden die Uetliberg-Liegenschaften mit Hotel, Restaurant und Landwirtschaftsbetrieb käuflich übernommen. Das wechselhafte Glück bei der Verpachtung dieser Nebenbetriebe und der drastische Benützerrückgang bei der Bahn zu Beginn des Ersten Weltkrieges mit gleichzeitigem Ansteigen der Kohlen- und Materialpreise brachte die während Jahren aus der Substanz zehrende Unternehmung an den Rand des finanziellen Ruins. Am 1. November 1920 wurde zur Vermeidung weiterer Verluste der Bahnbetrieb vollständig eingestellt. Die Hotel- und Restaurationsliegenschaften wurden bestmöglich verkauft, die Gesellschaft trat mangels Kapitalbeschaffungsmöglichkeit in Liquidation.

Mutige Bürger der Stadt Zürich taten sich zusammen und gründeten am 25. März 1922 die neue Bahngesellschaft Zürich-Uetliberg (BZÜe) mit dem Zweck der Übernahme der bestehenden Dampfbahn Selnau-Uetliberg sowie deren Ausbau und Umstellung auf elektrischen Betrieb. Die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs erfolgte Ende August 1922, und bereits am 25. Juni 1923 konnte der elektrische Betrieb aufgenommen werden. Die erste elektrische Fahrzeuggeneration bestand aus zwei tramähnlichen Motorwagen mit einem Fassungsvermögen von je 24 Sitzplätzen und vier fensterlosen Sommer-Anhängewagen mit je 30 Plätzen. Die über den Erwartungen erfreulichen Frequenzzahlen und Verkehrseinnahmen aus dem ausschliesslich touristischen Verkehr machten bereits 1924 eine weitere Beschaffung von je zwei Motor- und zwei auch für den Winterbetrieb ausgerüsteten Anhängewagen notwendig. Die Tarife wurden gegenüber 1914 nicht verändert. Bereits mit der Aufnahme des elektrischen Betriebs wurde ein starrer Fahrplan mit Abfahrtszeiten jede volle Stunde ab Selnau eingeführt, wahrlich eine Pionierleistung der BZÜe!

Mit der Eröffnung neuer Haltestellen in Friesenberg, Schweighof und Ringlikon wurde der bescheidene Abonnentenverkehr auf der Strecke Selnau-Waldegg von 1933 an erweitert und ausgebaut. Dieser übersteigt heute einen Drittel der Jahresfrequenz der Uetlibergbahn. Mit Tarifabschlägen und Abonnementen für Bergbewohner versuchte man dem Verkehrsrückgang in den Krisenjahren zu begegnen.

1939 stand im Zeichen der Landesausstellung, zu deren Anlass die zweite Fahrzeuggeneration mit der vierachsigen dreiteiligen Landikomposition Einzug hielt.

Zu Beginn der fünfziger Jahre erschien der erste dreiteilige Pendelzug auf den Schienen der Uetlibergbahn und eröffnete die Nachkriegszeit. Gleichzeitig reichte der Migros-Genossenschaftsbund mit einer von ihm gestarteten Initiative ein Konzessionsgesuch für den Bau einer Luftseilbahn vom Albisgütli auf den Uto-Kulm ein. Das die Uetlibergbahn konkurrenzierende Projekt stiess auf den Widerstand der politischen Behörden von Zürich, was zu einer Ablehnung des Konzessionsgesuchs durch den Bund führte.

Im Dezember 1954 wurde die bis heute einzige eidgenössisch konzessionierte Luftseilbahn im Kanton Zürich von Adliswil auf die Felsenegg eröffnet und damit den Uetliberg- und Albiswanderern eine sinnvolle Ergänzung der Transportanlagen geboten. Mit der Schaffung einer Tarif-, Betriebs- und Verwaltungsgemeinschaft erhielten die Rundfahrten Uetliberg-Felsenegg-Sihltal und umgekehrt starken Auftrieb.

Die sechziger Jahre standen im Zeichen technischer Erneuerungen und Verbesserungen mit Hilfe von Darlehen und freiwilligen Beiträgen der Stadt Zürich und der Gemeinde Uitikon a.A. Neben der Beschaffung von zwei weiteren Pendelzügen wurde die Stromversorgung durch Einrichtung von zwei zusätzlichen Gleichrichterstationen in Friesenberg und Ringlikon verstärkt. Eine neue Ausweichstelle im Berghof, der Streckenmitte der Bahn, ermöglichte die Einführung des 30-Minuten-Taktfahrplans im Spitzenverkehr und an Schönwettertagen.

Mit dem 1. Januar 1973 wurde die bereits seit 1932 in Betriebs- und Verwaltungsgemeinschaft mit der Sihltalbahn stehende Bahngesellschaft Zürich-Uetliberg von der Sihltalbahn durch Fusion übernommen. Mit der Aufgabe der rechtlichen Selbständigkeit und Umwandlung in die neue Sihltal Zürich Üetliberg Bahn (SZU) kam der Uetlibergbahn für die Strecke Selnau-Ringlikon der Status einer Bahn des Allgemeinen Verkehrs zu. Damit gelangte sie – neben der jährlichen Globalentschädigung zur Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen – in den Genuss der eisenbahngesetzlichen Hilfeleistungen des Bundes und des Kantons Zürich für Investitionen und zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Die Aktionäre aus der Gründerzeit verloren ihre Mehrheit durch die Fusion mit der Sihltalbahn und besitzen in der SZU-Gesellschaft noch rund 8% des Aktienpakets, während 92% des Aktienkapitals dem Bund, dem Kanton und der Stadt Zürich gehören.

Mit einem neuen, attraktiven äusseren Kleid von orange-roter Farbe startete die Uetlibergbahn in ihre zukunftsorientierte SZU-Ära. Am 10. Mai 1975 wurde das 100jährige Bestehen gefeiert. Der Zürcher Jugend wurde in Anwesenheit der offiziellen Gäste und Behördenmitglieder ein Kinderspielplatz gegenüber der Bergstation übergeben. Wysel Gyr erschien als hundertjähriger Wanderer, bestaunte den Blechkondukteur (die neuen Billettautomaten) und nahm Abschied vom letzten Kondukteur der Bahn, der in Pension ging und mit der Bahnpfeife «aus dem letzten Loch pfiff». Eine eher wehmütige, menschliche Szene, die nach 100 Jahren Geschichte das grösste, gewagteste Experiment, nämlich die Fahrgastselbstbedienung und den kondukteurlosen Betrieb mit unbegleiteten Zügen auf einer doch vorwiegend dem Ausflugsverkehr dienenden Bahnlinie, einläutete. Im November des Jubiläumsjahres wurde der Fahrzeugpark mit der Türautomatik, dem Betriebsfunk und mit Lautsprechern ausgerüstet. Mit den Informationseinrichtungen an den Haltestellen zusammen soll dem Fahrgast jeden Alters ein problemloser und sicherer Betriebsablauf gewährleistet werden.

Ein Totalschaden eines Zweiachstriebwagens führte an Schönwettertagen und in Spitzenzeiten des zunehmende Bedeutung erlangenden Schlittelverkehrs zu einem akuten Rollmaterialmangel. Bereits 1976 wurde vom Bund grünes Licht für eine kollektive Fahrzeugbestellung verschiedener schweizerischer Privatbahnen gegeben. Die SZU konnte sich für ihre Uetlibergbahn mit zwei modernen Doppeltriebwagen Be 8/8 mit Allachsantrieb und einer stufenlosen elektronischen Choppersteuerung dieser Sammelbestellung anschliessen. Der neue Fahrzeugtyp ist in Anlehnung an die Fahrzeuggeneration Tram 2000 der VBZ und der Forchbahn konstruiert und bietet den Fahrgästen 162 bequeme Polstersitze und bei ausserordentlichem Spitzenverkehr zusätzliche 150 Stehplätze an. Mit dieser Fahrzeugbeschaffung ist eine Kapazitätserhöhung mit publikumsfreundlichen Ein- und Ausstiegen, Fahrkomfort und Wintertauglichkeit realisiert worden, die allen aussergewöhnlichen Situationen gewachsen ist. Bis zur Ablieferung dieser neuen Fahrzeuge ist die gesamte Fahrleitung erneuert worden. Heute verkehren täglich bei jeder Witterung 77 Züge alle 30 Minuten.

Nach mehrjährigen intensiven Vorbereitungsstudien und Variantenabklärungen gelang es, im März 1980 dem generellen Projekt «Bahnverlängerung SZU Sihl-Tief-Hauptbahnhof» zum Durchbruch zu verhelfen. Diese seit 1909 in periodischen Zeitabständen immer wieder verlangte Verbindung zwischen dem provisorischen Endbahnhof Selnau und dem Zürcher Hauptbahnhof wäre für die Uetlibergbahn aus wirtschaftlichen Gründen ohne den rechtlichen Zusammenschluss mit der Sihltalbahn nicht realisierbar gewesen.

Nach der erfolgreichen S-Bahn-Abstimmung vom 29. November 1981 hat der Regierungsrat des Kantons Zürich unverzüglich die Verhandlungen mit dem Bund und den SZU-Beitragsgemeinden aufgenommen. Bereits am 6. September 1982 hat das Zürcher Kantonsparlament beschlossen, nach Abzug eines Bundesbeitrags von 14,49 Mio Franken einen Staatsbeitrag von 80% der verbleibenden Baukosten (72,41 Mio Franken) auszurichten anstelle der sonst üblichen hälftigen Beteiligung. Dieser Beschluss zuhanden der Volksabstimmung vom 27. Februar 1983 erfolgte mit Rücksicht auf die überregionale Bedeutung dieses grössten Bauvorhabens in der Geschichte der SZU, das eine wertvolle Ergänzung des S-Bahn-Betriebs der Region Zürich bildet. Die Abstimmungsergebnisse im Kanton und in den einzelnen Gemeinden haben die Erwartungen übertroffen und bedeuten eine klare Vertrauenskundgebung zur SZU mit ihren beiden Regionallinien.

Der definitive Anschluss der Sihltal- und Uetlibergbahn an den Hauptbahnhof Zürich rückt näher! Wenn von 1989/90 an sowohl auf S-Bahn-Züge als auf internationale Züge von und nach den grossen europäischen Städten wie Brüssel, Hamburg, Paris, Frankfurt, München und Wien und nach dem Zürcher Flughafen direkt umgestiegen werden kann, werden vielleicht wieder direkte Billette von London oder Paris auf den Uetliberg verkauft.

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